Erzähler: Wie war es noch, zieht er sie oder sinkt sie hin? Was zählt, ist das Resultat. Und das heißt, Anna folgt Raoul in die faszinierende Welt der Utopie. Und – um gleich die Antwort vorweg zu nehmen – die Utopie lebt nicht nur in der Zukunft, sondern schon jetzt unter uns. Und das wie gesagt mitten in Berlin. In der Köpenicker Straße, auf der Demarkationslinie zwischen ehemals Ost und West,
Demarkationslinie. Ein bedrohliches Wort. Aber – in diesem Fall ein Schutz für alles was dort ungestört leibt und lebt. Oder, anders ausgedrückt, eine Mauer innerhalb der Mauer. Eingemauert, aber frei! In den Worten von Raoul: die Utopie, im Volksmund genannt Subkultur, von der Staatsmacht geschütztes raubeiniges Köpi, ein Biotop von Berliner Punks aus aller Welt – um des lieben Friedens Willen.
Hätte sich der Vater von Anna seine Prinzessin jemals dort, an diesem Ort einer grassierenden Anarchie vorgestellt? Als ein Punk mit stiftförmigen, bunten Nadeln als Haarpracht? Mit gepiercten Lippen, schwarz übermalt? Mit einer Stimme, die den Flirt mit den Abgründen der Nacht erahnen lässt? Nein, nicht in Papas haltlosesten Albträumen.
Weil Utopie kein Teil der Wirklichkeit zu sein scheint, kommt sie selbst in der schwarzen Fantasie der Väter von Töchtern nicht vor. Papa hatte keine Chance zu ahnen, wie schlimm es um seine Tochter steht.
Aber wir. Wir sind Zeugen der neuen Realität des Samba der Utopie, in der alles geht, in der alles möglich ist, mit der aber auch die Verpflichtung kommt, die neugewonnenen Freiheiten erst einmal für sich zu reklamieren. Aber wir wollen dem Geschehen nicht vorgreifen.
Alle singen und tanzen:
Samba Afrika
Samba, wo Afrika die Welt trifft,
das Warme das Heiße,
das Schwarze das Weiße,
ein Labor der Emotion
ein Geschenk an die Menschheit,
wo die Freude auf Leid trifft
doch niemals allein bleibt
mit der Wurzel Brasil
man kennt dich vom Karneval
aber das ist nicht überall
und das ist nicht jeden Tag
glücklich ist, wer den Samba im Alltag mag
Samba ist, wo die Welt ins Schwarze trifft,
Samba ist, wo die Welt sich selbst vergisst
Samba ist, wo die Welt eine Auszeit nimmt
Samba ist, wo sich jeder verliert und wiedergewinnt
Ref.: Samba pagode, maxixe, de breque
Samba choro, enredo, e rock
Samba gafieira, de roda, raiz
Samba was immer der Name, es ist……
Ein wilder Samba – die Samba-Rebellen proben
Erzähler: Aber was ist das, Samba? Ein Tanz? Eine Lebenseinstellung, ein Rhythmus? Eine Art, die Hüfte zu wiegen? Eine Musik, die von Synkopen lebt? Samba, die Verdichtung der Geschichte des Kontinents Brasilien auf ein Wort.
Samba ist die Inkarnation der Hoffnung der Armen. In früheren Jahrhunderten waren das entweder Schwarze oder Indios. Heute schaut Armut nicht mehr nach der Hautfarbe, sondern Armut kommt von der Abschottung von Ressourcen, ob Schule, Wasser oder Internet.
Für den, der in Armut lebt, ist Samba das Licht, mit dem er sich durch die Tunnel hangeln muss. Und nicht immer führt dieses Licht auf die richtige Spur. Und um es klar zu sagen, das Licht selbst ist es nicht, was die Nacht vom Tag unterscheidet. Die Dinge sind viel mehr miteinander verwoben, als man allgemein denkt. Aber Samba schaut auch nicht darauf, wieviel Geld du verdienst. Samba verlangt nichts weiter, als sich zu öffnen und dem Rhythmus Zugang zu deinem Innersten zu geben. Wenn das geschieht, wird der Samba zum Taktgeber deines Seins. Er bestimmt, was du tust, Er treibt dich, du lässt dich treiben. Alles andere macht sich dann von allein.
Samba ist Hoffnung, Sehnsucht, Freude, Ablenkung, ein Versprechen, so etwas wie ein spezieller Ort im Leben. Für einen durchschnittlichen Brasilianer kann Samba viele Funktionen übernehmen. Er ist eine Art, mit seinem Leben umzugehen, es auszurichten, es mit Sinn zu erfüllen.