Erzähler: Gibt es das ideale Paar? Man kann sagen, jedes Paar ist nicht nur ein Aufeinandertreffen zweier Charaktere, sondern auch ein Aufeinandertreffen zweier Lebenswege. Würden sich beide Lebenswege nicht miteinander in die Zukunft verbinden lassen, gäbe es wohl gar kein Paar.
Aber auf diesem Lebensweg gibt es Stationen, die eine Neubewertung nötig machen. Habe ich noch Hoffnung auf Erfüllung? Wenn nicht, was setze ich an diese Stelle? Oder leide ich still? Oder naht damit der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt?
Das Thema heißt Kompensation, und damit hat es einen wissenschaftlichen Anstrich bekommen, der ihm Autorität verleiht. Bei Anna aber braucht es keine Wissenschaft, um zu sehen, wie es geht. Sie hat sich einen Hund zugelegt.
Das heißt, der Hund hat sich eigentlich ihr zugelegt. Plötzlich war er da. Aus keiner ersichtlichen Quelle tauchte er plötzlich auf und wich ihr nicht mehr von der Seite. Anna musste sich erst an ihn gewöhnen, aber das fiel ihr leicht, denn er erinnerte sie an Raoul. Er war ein Raoul in der Art sich zu bewegen, ein Raoul in der Art sich an ihr zu reiben, sogar sein Geruch erinnerte sie an Raoul. Träume vergangener Nächte gewannen wieder an Präsenz in ihren unausgesprochenen Gedanken.
Sie nannte ihn Raoul und sprach ihn gern an, und er reagierte. Endlich ein Kumpan im Alltag. Und mehr als das. Wenn da die Schwie-Má nicht wäre. Misstrauisch verfolgt sie jedes Leben in der Etage über ihr. Und sie muss gar nicht wirklich lauschen, um einzelne, lose Stücke der Unterhaltung zwischen Anna und Raoul mitzukriegen.
Margot nähert sich von unten der Treppe und ruft herauf:
Schwiegermutter: Anna, was hast du gesagt über meinen Putzeimer? Mit wem redest du eigentlich da oben? Hier ist doch niemand? Und was für Vorwürfe muss ich da hören? Schon seit Wochen geht das so. Was für einen Plan schmiedest du da hinter meinem Rücken?
Anna: Ach, nichts, ich hab nur so geredet. Hallo Margot. Lange nicht gesehen.
Margot ist inzwischen die Treppe hochgekommen und steht Anna gegenüber
Schwiegermutter: Aber gehört. Ich hör dich jeden Tag, wie du die Tür öffnest, wie du raus und rein gehst, wie du dich räusperst. Man fragt sich natürlich, warum?
Anna: Natürlich, natürlich! Margot, hör auf! Wir haben das schon so oft besprochen. Du bleibst unten, wir wohnen oben. Das gilt auch für deine Ohren! Ich habe keine Lust, mich mit so einem Mist auseinanderzusetzen.
Schwiegermutter: natürlich, denn du hast schon längst jemanden anderen, der für dich wichtig ist, einen anderen Mann. Ich höre das doch! Dauernd wird hier oben geredet! Was ist mit diesem schrecklichen Hund? Warum sabbert der dir an den Füßen rum?
Beide singen: Jeder kann sich irren
Anna: Ich weiß schon nicht mehr
Was ist gut und was ist schlecht
Was immer ich tu
Es ist niemals recht
Margot: Ich hab dir geholfen
Alles was ich wichtig fand
Hab ich dir beigebracht
Als Dank beißt Du mir in die Hand
Refrain:
Anna: jeder kann sich irren, jeder
jeder irrt sich irgendwann
Jeder macht mal Fehler, jeder
niemand ist ganz frei davon
Margot: Lerne zu erkennen
dass die Wirklichkeit sie selber bleibt
nur weil du nicht hinschaust
wird nicht wahr, was nur dir selbst so scheint
Anna: Du mauerst mich einfach ein
Kettest mich an Haus und Herd
Und all die Regeln, die machst du
Du bist der Reiter, ich das Pferd
Margot: Ich meins mit dir nun wirklich gut
Ich will dich lehren, was ich kann
Ich weiß, dass Klaus das auch will
Doch du stellst dich so dämlich an
Refrain:
Anna: jeder kann sich irren, jeder
jeder irrt sich irgendwann
Jeder macht mal Fehler, jeder
niemand ist ganz frei davon
Beide: Lerne zu erkennen
dass die Wirklichkeit sie selber bleibt
nur weil du nicht hinschaust
wird nicht wahr, was nur dir selbst so scheint
Anna: Lerne zu erkennen, ja, nur das, was DU siehst ist Wahrheit.
Margot: Anna, du leidest an Selbstbetrug. Aber ist das Grund genug, deinen Mann zu betrügen?
Anna (sauer): Ich habe es so satt, diese ewigen Belehrungen, diese ständigen Vorwürfe. Es geht so nicht weiter. Ich werde mit Klaus reden. Entweder du oder ich.
Margot (aufgebracht): Da hast du schlechte Karten. Schon das Haus gehört ja rechtlich mir.
Anna: Margot, es reicht! Mein Leben ist mein Leben, dein Leben ist dein Leben. Und jetzt raus aus meinem Leben! Raus aus meiner Wohnung! Raus!
<Margot trollt sich, nicht ohne einen giftigen Blick zurück zu werfen>